Flucht aus Fontem (Kamerun)

Bericht von Anni Lechner (bis Ende 2018 im MaryHealth of Africa Hospital in Fontem)

Über Fontem zu schreiben ist mir sehr schwergefallen, deswegen erst jetzt ein Lebenszeichen von mir.

Am 31.10.2018 bin ich nach 12 Jahren aus Fontem (Kamerun) geflüchtet.

Wir hatten beschlossen, so lang in Fontem zu bleiben, so lange es Sinn machte. Wir waren der Neutralpunkt für beide Parteien, d.h. Separaristen/Amba Boys und dem Regierungsmilitär.

Der Konflikt liegt in den 2 anglophonen Regionen. Kamerun hat 10 Regionen, davon sind 8 frankophon, also französischsprechend. Als im Jahr 2016 die Lehrer und Justizmitarbeiter gegen die jahrzehntelange Marginalisierung der anglophonen Regionen, sowie ihrer Geschichte und Kultur demonstrierten, schlug der Präsident (86 Jahre) die Demonstrationen mit aller Härte nieder. Seitdem eskaliert der Konflikt zwischen Separatisten/Amba Boys (die einen unabhängigen Staat Ambazonia wollen) und den Regierungssoldaten mehr und mehr.

2017 hat in Fontem nur die Hälfte der Schulen den Unterricht aufgenommen. Nach den Weihnachtsferien, im darauffolgenden Januar, sind nur 20% der Schüler wieder in die Schule gegangen. Die Separatisten hatten angeordnet, die Schüler/innen nicht in die Schule zu schicken, um damit Aufsehen in der Regierung zu erregen. Sie dachten, damit gäbe es einen Ausgangspunkt für einen Dialog bzw. Verhandlungen. In den restlichen anglophonen Gegenden ist es im Prinzip mehr oder weniger ähnlich. Um eine Schulbildung zu erhalten, gehen viele der anglophonen Schüler/innen im frankophonen Bereich zur Schule. Man kann sich gut vorstellen, dass jetzt die Schulen im französischen Bereich ziemlich überlaufen sind.

Im April 2017 wurde Fontem vom Militär eingenommen, d.h. das Militär kam hochbewaffnet mit ihren Fahrzeugen und Panzerwagen. Sie suchten überall nach den Amba Boys und so wurde Fontem unter Beschuss genommen. Es war sehr gefährlich in dieser Zeit außer Haus zu gehen.

Manchmal schliefen wir im Krankenhaus, damit der tägliche Arbeitsverlauf weitergehen konnte. Wir hatten viel zu tun. Soldaten kamen, um Ihre Verwundeten behandeln zu lassen. Es war aber sehr gefährlich, das Militär im Krankenhaus zu haben, da wir immer befürchten mussten, dass die Amba Boys das Krankenhaus unter Beschuss nehmen würden.

Schließlich hat das Militär ein eigenes Lazarett eingerichtet und die Verletzten wurden mit Hubschraubern ausgeflogen. Jetzt kamen sie weniger zu uns. Wenn sie aber kamen, hatten sie immer ihre Maschinenpistolen dabei. Als ich sie einmal fragte, warum sie auch mit Handgranaten in der Hand ins Sprechzimmer kamen, antwortete er mir „nur zu deiner Sicherheit“.

Diese Gefahren und viele Einschusslöcher in unseren Häusern, wie auch im Krankenhaus hatten uns nicht davon abgebracht, weiterhin vor allem die ältere lokale Bevölkerung medizinisch zu versorgen. Das Essen wurde knapper. Es war schwierig Lebensmittel von der nächstgrößeren Stadt, wie wir es normalerweise machten, zu besorgen. Nicht nur wegen den Straßenverhältnissen, sondern auch wegen den Wegelagerern oder dem Militär. Da die staatliche Stromversorgung seit Januar 2018 nicht mehr funktioniert, waren und sind die Einheimischen froh, dass es noch unseren Strom gibt.

Als wir im Oktober massiv bedroht wurden, entschieden wir uns, Fontem zu verlassen.

Wir, das heißt die Gemeinschaft „Fokolare“, welche Menschen sind, die Ihr Leben Gott geweiht haben und als Missionare seit 50 Jahren dort den Einheimischen Arbeit gegeben und Wissen vermittelt haben.

Anfang des Jahres 2018 waren wir noch ca. 30 Personen, aber in den folgenden Monaten sind immer mehr von uns aus Fontem herausgegangen, da sie nicht unter diesen extremen Bedingungen Leben konnten. Dazu gehörten auch unsere beiden Ärzte. Es blieb nur noch ein kongolesischer Arzt und wir 8 der Fokolarbewegung.

Am 31.10.2018 verließen wir Fontem, ließen aber das Krankenhaus, unsere Elektrostation und unser Zentrum in den Händen des einheimischen Personals. In vielen Gebieten wurden Krankenhäuser niedergebrannt oder ausgeplündert, ebenso die Häuser und öffentliche Gebäude. In Fontem nicht. Unsere Privathäuser sind immer noch so wie wir sie verlassen haben. Das Zentrum wird mit dem einheimischen Personal weitergeführt: dort befinden sich noch ca. 30 Flüchtlinge. Das Krankenhaus wird von ca. 10 Personen weiterbetrieben. Dies haben wir nach unserem Verlassen im Oktober bei einer Mitarbeiterbesprechung beschlossen. Die Instandhaltung des Stromaggregats oder das Pflegen unserer Anwesen wird durch diese Menschen vor Ort erledigt. Das ist für uns das größte Geschenk, dass alles, was wir aufgebaut haben nun doch irgendwie weiter geht.











Bis jetzt finden Kämpfe in Fontem statt, doch das Krankenhaus, wie unser Zentrum sind bisher verschont worden, was ein gutes Zeichen ist. Wir sind immer noch oft mit den Leuten in Fontem in Kontakt, um uns auszutauschen. Somit bekommen wir mit, wie es ihnen geht und wie es weitergehen kann. Es gibt wenig Protein wie Fleisch oder Fisch zu essen, doch Gemüse können sie noch von unserer „Farm“ ernten. Jeden Tag treffen sich die Leute am Zentrum, um für den Frieden zu beten. Leider haben sie keinen Pfarrer, der sie dort geistlich unterstützen könnte. Seit einer Woche gibt es keine telefonische Verbindung mehr, da der Telefonanbieter Angst hat, in dieses Gebiet zu fahren und damit die Anlagen nicht mehr warten oder reparieren kann.

Was wir bis jetzt beschlossen haben, ist erst einmal abzuwarten wie die Situation sich weiterentwickelt. D.h. wir bleiben in Kontakt mit den Einheimischen und mit den ,,Flüchtlingen“ die aus Fontem geflohen sind.

Wir helfen ihnen auf unterschiedliche Art und Weise. Ob mit Lebensmitteln, Unterkunft oder auch in Form einer Schulausbildung für deren Kinder.

Die Hoffnung, dass es besser werden kann ist sehr spürbar, auch wenn sich bis jetzt noch keine Anzeichen zeigen.

Anni Lechner